Einleitung
2016 wurde ein Zusammenschluss von Helferkreisen im Kanton gebildet; er heisst heute Netzwerk Asyl Thurgau. Das Netzwerk fördert den Erfahrungsaustausch unter Freiwilligen im Asylbereich, bietet Weiterbildungen und Austausch, initiiert Projekte und sucht den Dialog mit politischen, kantonalen, kirchlichen und juristischen Akteuren.
Mit diesem Positionspapier möchten wir einen Überblick unserer Beobachtungen und Haltungen geben und Vorschläge für einen fairen, menschengerechten, förderlichen Umgang mit Geflüchteten in unserem Kanton machen.
Als Freiwillige stehen wir den Geflüchteten nahe, erfahren von ihren Sorgen und Nöten, versuchen sie zu unterstützen. Dabei ist uns bewusst, dass uns gelegentlich Unwahrheiten erzählt werden und dass unsere auf die Geflüchteten fokussierte Sicht nicht alle Aspekte des Asylwesens umfasst.
Der Kanton Thurgau leistet in Teilbereichen des Asylwesens, wie etwa den Integrationskursen, hervorragende Arbeit. Das vorliegende Positionspapier fokussiert hingegen auf Mängel, die schon länger bestehen und von uns in Besprechungen mit dem Kanton und der Peregrina-Stiftung schon wiederholt moniert wurden. Wir verstehen es als Zusammenfassung unserer Erfahrungen und Vorschläge und hoffen, dass es zu einer Optimierung der Situation beitragen kann.
Kurzfassung
Unterbringung und Betreuung in den Durchgangsheimen
Im Auftrag des Kantons ist die Peregrina-Stiftung für die Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden in der Erstintegrationsphase zuständig. Als problematisch erachten wir die engen Platzverhältnisse, ungeeignete und veraltete Infrastruktur, fehlende Sicherheit und Gesundheitsversorgung ausserhalb der Bürozeiten, mangelnde Kinderbetreuung und ungenügende Begleitung der UMAs. Ein angemessenes Controlling würde zu einer Verbesserung beitragen.
Unterbringung und Betreuung in Gemeindeunterkünften
In den Gemeinden unseres Kantons bestehen grosse Unterschiede in Unterbringung, Betreuung und Integration der Geflüchteten. Oft ist damit die Forderung nach Rechtsgleichheit nicht mehr erfüllt. Gemeindebeauftragte, die mit Geflüchteten arbeiten, verfügen oft nicht über die notwendige Sozial- und Fachkompetenz. Es besteht Bedarf für kantonal koordinierte Weiterbildungen und Erfahrungsaustausch. Gemeinden und Kanton sind für ein hinreichendes Controlling verantwortlich.
Menschenwürdige Ausgestaltung der Nothilfe
Seit der Asylreform 2019 ist der Thurgau für die Ausreise abgewiesener Asylsuchender der Asylregion Ostschweiz zuständig. Wer nicht freiwillig ausreist oder aufgrund staatlicher Abkommen rückgeführt werden kann, erhält nur noch Nothilfe und darf nicht arbeiten. Die Zahl der Ausreisepflichtigen steigt im Thurgau an. Konzepte zur Förderung der freiwilligen Ausreise, einer menschenwürdigen Behandlung, Unterbringung und Beschäftigung sind deshalb zu überprüfen und weiterzuentwickeln.
Umgang mit Psychotraumata
Fachleute gehen davon aus, dass mehr als ein Drittel der geflüchteten Personen an psychotraumatischen Folgestörungen leiden. In den Durchgangsheimen werden diese häufig nicht erkannt und durch deren Strukturen noch verstärkt. Das kann zu Schwierigkeiten beim Lernen, in der Arbeit, in der Begegnung mit anderen Menschen führen, ist damit einer Integration abträglich und führt langfristig zu hohen Kosten. Ein Screening aller, die in ein Durchgangsheim eintreten, ist angezeigt. Wichtige medizinische Informationen sind bei Zuständigkeitswechsel weiterzuleiten. Der Umgang mit traumatisierten Menschen verlangt nach entsprechend geschultem und qualifiziertem Personal. Vertrauenspersonen und eine minimale Privatsphäre dienen der Stabilisierung.
Förderung der nachhaltigen Integration
Die Integrationsagenda des Bundes hat unter anderem zum Ziel, Geflüchtete rasch und nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Mit den Integrationskursen hat der Kanton ein wertvolles Instrument geschaffen. Immer öfters gelingt es damit, dass junge Geflüchtete eine Lehre abschliessen können. Finanzielle und rechtliche Aspekte beeinflussen die Entscheidung für oder gegen eine Ausbildung stark; diese werden vom Kanton zu wenig beachtet. Die geltenden Rechtspraxen schaffen Fehlanreize und hinken der fortschrittlichen Integrationspolitik nach. Es ist wichtig, dass die finanzielle Unterstützung für die Ausbildung durch Stipendien gesichert ist und dass sich während einer Ausbildung nicht Sozialhilfeschulden anhäufen. Ausserdem soll für Personen mit F-Ausweis die Möglichkeit bestehen, auch während der Lehre eine Aufenthaltsbewilligung B zu erhalten.
1. Unterbringung und Betreuung in den Durchgangsheimen
Die Geflüchteten sind während mehreren Monaten in einem Durchgangsheim der Peregrina-Stiftung untergebracht. Danach werden sie einer Gemeinde zugeteilt. Sie bleiben grösstenteils für immer in der Schweiz. Ausreisepflichtige Geflüchtete, die nicht freiwillig ausreisen oder nicht zurückgeführt werden können, leben auf unbestimmte Zeit in einer Nothilfeunterkunft.
Aus unserer Sicht arbeitet die Peregrina-Stiftung seit Jahren mit zu geringen Ressourcen. Der Kanton Thurgau hat damit kurzfristig Kosten gespart; das kann uns aber längerfristig teuer zu stehen kommen (z.B. Folgen der mangelhaften Betreuung Jugendlicher), ist nicht rechtskonform und nicht menschenwürdig. Der Kanton muss darum das Konzept für Unterbringung und Betreuung grundsätzlich überarbeiten und dafür sorgen, dass die Bundesgelder vollumfänglich dafür genutzt werden. Das soll im Folgenden gezeigt werden:
Unterbringung
- Die Infrastruktur ist verzettelt, vielerorts veraltet und oft über lange Zeit defekt. Sie entspricht in keiner Weise sozialen und ökonomischen Geboten.
- Die sanitären Anlagen sind oft zu knapp bemessen oder schlecht abgetrennt.
- Die Platzverhältnisse sind oft zu eng.
Beispiel Häberlinstrasse Frauenfeld: Familie mit 2 Kindern in einem Zimmer (12 m2) samt Hab und Gut untergebracht, alleinerziehende Mutter mit Kleinkind gemeinsam mit einer anderen Frau in einem Zimmer platziert, kaum Indoor-Spielmöglichkeiten für Kinder, kein Platz zur Erledigung von Schulaufgaben
Sicherheit
- Sicherheitspersonal fehlt, nach der Bürozeit ist die Polizei zuständig.
- Nachtwache: Eine Person kontrolliert in einer Nacht per Auto alle Standorte im Thurgau (Frauenfeld, Weinfelden, Amriswil, Hefenhofen, Arbon, Romanshorn, Tägerwilen), keine dauerhafte Anwesenheit in der Nacht vorhanden.
Gesundheitsversorgung
- Grundsätzlich haben alle Bewohnerinnen und Bewohner Zugang zu medizinischer Versorgung über den Hausarzt.
- Die medizinische Vorgeschichte wird zum Teil zu wenig geklärt (meistens ohne Dolmetscherdienst) und zugestellte Akten des SEMs werden teils nicht beachtet.
- Ausserhalb der Bürozeiten ist für die BewohnerInnen niemand von der Peregrina erreichbar. Es existiert kein Notfalltelefon.
- Es ist unklar, wie Medikamente am Wochenende verabreicht werden, vor allem bei Personen, deren Medikamenteneinnahme kontrolliert werden muss.
Unabhängiger transkultureller Dolmetscherdienst
- Dieser wird zu wenig beigezogen.
- Andere Durchgangsheimbewohnerinnen, deren Deutschkenntnisse besser sind, müssen übersetzen, verpassen ev. den eigenen Deutschunterricht oder müssen zusätzlich die Betreuung der eigenen Kinder organisieren.
- Der Datenschutz ist damit nicht gewährleistet (v.a. bei Arztbesuchen).
Kinderbetreuung
- Während der Kurszeit der Eltern fehlt eine Kinderbetreuung durch eine erfahrene Person. Es werden ausschliesslich (mehr oder weniger geübte) Eltern eingesetzt – ohne Anleitung. Jede andere kinderbetreuende Organisation muss diesbezügliche Regeln einhalten.
- Das Kinderzimmer ist ausserhalb der Deutschkurszeiten abgeschlossen.
UMA (unbegleitete Minderjährige Asylsuchende)
- UMA werden aktuell in Durchgangsheimen, einer speziellen Unterkunft für UMA (UMA-Haus, ohne qualifizierte 24h-Betreuung), in einer Pflegefamilie oder nötigenfalls in einer Spezialeinrichtung untergebracht.
- Gemäss Kindes- und Erwachsenenschutzgesetz, Kinderheimaufsicht und UN-Konvention über die Rechte von Kindern haben Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern aufwachsen, das Recht auf besonderen Schutz durch den Staat. UMA gemeinsam mit Erwachsenen unterzubringen, widerspricht den gesetzlichen Anforderungen. Die Heimaufsicht fehlt.
Lösungsansätze
- Die Umsetzung der Istanbul-Konvention und der Kinderrechtskonvention ist auch für den Kanton Thurgau das Ziel. Sie sind rechtsverbindlich.
- Bauliche Erneuerungen und Instandsetzen der Infrastruktur sind dringend notwendig.
- Die dezentralen Unterbringungseinheiten sind ungeeignet, für Gendertrennung, Sicherheit, Pikettdienst, Kinderbetreuung. Eine zentrale Unterbringung könnte dies gewährleisten.
- Für die Kinderbetreuung ist eine geschulte Person anwesend und verantwortlich, wenn möglich unter Einbezug der Eltern.
- UMA benötigen – wie alle Kinder und Jugendlichen – Betreuung und Begleitung und ein sicheres Zuhause. Die Platzierung in einer Pflegefamilie oder wohngruppenähnliche Strukturen mit professioneller Betreuung sind anzustreben und müssen den Standards der KESB und der von der Schweiz ratifizierten Kinderrechtskonvention entsprechen.
- Ein klarer Leistungsauftrag zwischen dem Kanton und der Peregrina-Stiftung, dessen konsequente Umsetzung und das anschliessende Controlling sind Voraussetzung, die geschilderten Verhältnisse zu verbessern.
- Globalpauschalen des Bundes sind in vollem Umfang zu ihrer Zweckerfüllung zur Verfügung zu stellen und deren Verwendung transparent zu machen.
2. Unterbringung und Betreuung in Gemeinden
Es gibt Gemeinden, in welchen sich die Geflüchteten wohl, akzeptiert und gefördert fühlen; in anderen herrscht ein Klima der Einschüchterung und Angst, was einer Integration sehr abträglich ist. An einem Ort leben sie in zweckmässigen Wohnungen, andernorts in Wohncontainern oder baufälligen Liegenschaften. Die Einen werden in gemeinsamen Arbeiten und in Vereinen integriert, die Andern werden allein gelassen. In den einen Gemeinden wird die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unterstützt, in andern verfügen die Geflüchteten über keine Geldmittel, um diese zu benützen. So wird der Besuch von Integrationsangeboten von abgelegenen Orten aus verunmöglicht.
Geflüchtete können selbstbewusst oder schüchtern, zupackend oder bequem, arrogant oder höflich, psychisch stabil oder traumatisch belastet sein. Es gibt Beauftragte, die sensibel und flexibel damit umgehen können.
Selten besteht ein solches unkontrolliertes Machtgefälle wie zwischen Gemeindebeauftragten und Geflüchteten. Viele sind sich dieser Herausforderung bewusst und können damit umgehen, andere missbrauchen aber ihre Macht.
Vielerorts sind freiwillig tätige Personen bereit, die Integration Geflüchteter zu unterstützen. In der Zusammenarbeit mit den Sozialämtern gibt es teils Optimierungsbedarf.
Lösungsansätze
- Die Gemeinden setzen für die Betreuung der Geflüchteten nur Personen mit der nötigen Sozial- und Fachkompetenz ein.
- Der Kanton bietet Weiterbildung und Erfahrungsaustausch für die entsprechenden Gemeindemitarbeitenden an.
- Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Gemeinden wirken in der Integrationsarbeit mit Freiwilligen auf Augenhöhe zusammen. Kommunikationswege und Zuständigkeiten sind klar geregelt. Beanstandungen werden beiderseitig ernst genommen.
- Ein Wechsel der Gemeinde z.B. bei einer Arbeitsaufnahme oder anderer integrationsfördernder Gründe ist im öffentlichen Interesse und wird ermöglicht.
- Fahrtkosten zwecks sozialer und beruflicher Integration sollten übernommen werden, sofern in der eigenen Gemeinde solche Angebote nicht verfügbar sind.
- Für Personen mit reduzierten Sozialhilfeansätzen (F-Ausweis) werden der Integration dienliche Leistungen von der Gemeinde übernommen (z.B. WLAN, Busabo, …)
- Gemeinden und Kanton begnügen sich nicht mit Berichten der Beauftragten, sondern machen sich ein Bild vor Ort; sie nehmen das Controlling ernst.
- Globalpauschalen des Bundes werden nach ihrer Zweckbestimmung eingesetzt und deren Verwendung wird transparent gemacht.
3. Menschenwürdige Ausgestaltung der Nothilfe
Wir akzeptieren, dass Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, unser Land verlassen müssen. Die einen können dank Rücknahmeabkommen mit einzelnen Staaten zwangsweise zurückgeschafft werden, andere verlassen freiwillig unser Land oder tauchen unter und versuchen sich als Sans-Papiers durchzuschlagen. Wer trotz Wegweisungsentscheid hier bleibt, bezieht Nothilfe. Diese soll so gestaltet werden, dass sie keinen Anreiz zum Bleiben gibt. Konkret bedeutet dies, dass eine Schlafstelle in einem Mehrbettzimmer, Naturalien mit limitierter Auswahlmöglichkeit und medizinische Notfallversorgung gewährt werden. Es werden kein Taschengeld ausbezahlt und keine Arbeitseinsätze bewilligt, auch Beschäftigungsprogramme, soweit sie noch zugänglich sind, dürfen nicht mit Sackgeld belohnt werden. Die Unterbringung erfolgt in einfachen Unterkünften, teils in Containern zwischen Bahngeleisen und Kompostieranlage (Tägerwilen).
So sind Nothilfebeziehende blockiert in einem System, das ihnen jede menschenwürdige Existenz verweigert und langfristig zu psychischer und physischer Verwahrlosung führen kann. Das Arbeitsverbot und die zermürbende Lebenssituation sind ein Risikofaktor für ein Abgleiten in die Kriminalität, wobei bereits das Fahren ohne Billett als Kriminalität angesehen wird, da die daraus folgenden Kosten nie legal beglichen werden können. Auch das Ziel, die freiwillige Ausreise zu erzwingen, wird weitgehend verfehlt.
Dieses Regime hilft niemandem und ein Teil dieser Menschen wird letztlich für immer in der Schweiz bleiben, manchmal sogar wegen den Folgen dieser traumatisierenden Behandlung, denn psychisch Kranke können aufgrund von Verpflichtungen aus der EMRK gar nicht abgeschoben werden.
Lösungsansätze
- Um mehr freiwillige Ausreisen zu fördern, müssen die betroffenen Menschen befähigt werden, die Schande des Scheiterns zu bewältigen und im Heimatland ihre Existenz zu sichern. Dazu braucht es hier Zugang zu Arbeit, Beschäftigung und Bildung
- Ein Minimum an Finanzmitteln, um persönliche Bedürfnisse zu befriedigen und eine korrekte Unterbringung mit Privatsphäre geben auch Nothilfebeziehenden ein Stück Würde
- Geregelte Tagesstrukturen wirken gegen Verwahrlosung
- In Fällen, in denen eine freiwillige Ausreise nicht zu Stande kam und auch keine zwangsweise Ausschaffung erreicht wurde, müsste der Weg zur einzelfallbezogenen Regularisierung durch Härtefallgesuche aus humanitären Gründen häufiger beschritten werden als bisher
- Auch bei negativem Entscheid kann eine begonnene Ausbildung abgeschlossen werden
- Kinder in der Nothilfe stehen sowohl die schulischen wie auch beruflichen Bildungsangebote offen
- Familien mit Kindern werden nicht dauerhaft in Kollektivunterkünften untergebracht
4. Umgang mit Psychotraumata
In der Schweiz leben 200‘000-300‘000 Menschen, die Krieg, organisierte Gewalt, Folter, Vertreibung erlebt haben.
Besonders häufig haben Geflüchtete Traumata erlebt, sei es im Herkunftsland, auf der Flucht oder in den Zentren und Heimen in unserem Land. Während einige dieser Menschen das verarbeiten können, entwickeln andere eine posttraumatische Belastungsstörung und sind damit in ihrer Lebensqualität massiv beeinträchtigt. In den Durchgangsheimen wird dies häufig nicht erkannt und durch deren Strukturen noch verstärkt. Einschränkung der Lernfähigkeit und damit langfristige Sozialabhängigkeit können die Folge sein.
Viele schlagen sich durch, obwohl sie unter körperlichen und/oder psychischen Folgen des Erlebten leiden. Viele fragen nie nach einer Behandlung, sei es, weil sie sich genug widerstandsfähig glauben, sei es, weil sie sich nicht trauen oder schämen, abhängig zu sein. Andere wissen gar nicht, dass sich posttraumatische Symptome behandeln lassen und somit eine grosse Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann. Wieder andere tauchen mit verschiedenen spezifischen oder unspezifischen Beschwerden im Gesundheitswesen auf und einige kommen schliesslich in psychiatrische-psychotherapeutische Behandlung, da sie unter der dauernden Wiederholung des Erlebten leiden, Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder Angststörungen haben, unfähig sind, Vertrauen aufzubauen und damit einer geregelten Tätigkeit nachzugehen.
Lösungsansätze
- Wichtige medizinische Informationen sind bei Zuständigkeitswechsel weiterzuleiten: Ärztliche Berichte (medizinische wie psychiatrische) sollen zwingend an die Heim- oder Hausärztin, beziehungsweise -arzt gehen. Medizinische Diagnosen können, aber nur mit Einverständnis der betroffenen Person, auch an die Peregrina-Stiftung oder an die Gemeinde gehen.
- Traumafolgestörungen können oft durch Therapie wirksam behandelt werden; ein konsequentes Screening, die Aufmerksamkeit der Allgemeinpraktiker (besonders der Heimärzte) und der Einsatz von geschulten Dolmetschern helfen, Traumatisierungen frühzeitig zu erkennen und gezielte Massnahmen in die Wege zu leiten.
- Die Arbeitsgruppe Psychotraumata und Migration von AGATHU hat im Thurgau eine Liste von Psychiatern und Psychotherapeuten erstellt, die in der Lage sind, solche Störungen zu behandeln.
- Traumatisierte Geflüchtete benötigen zur Stabilisierung eine vertrauensvolle, sichere Umgebung.
5. Förderung der nachhaltigen Integration
Die Integrationsagenda der Schweiz gibt vor, dass zwei Drittel der Geflüchteten zwischen 16 und 25 Jahren sich nach fünf Jahren in einer beruflichen Grundbildung befinden sollen. Der Thurgau hat mit den Integrationskursen hierfür ein wertvolles Instrument geschaffen. Die Kurse bereiten auf eine Berufslehre (EBA oder EFZ) vor und bieten mit Schnuppertagen und Praktika eine Einführung in die Arbeitswelt. Zudem werden die Geflüchteten von Integrationscoachs begleitet. Schulisch und sprachlich sind damit optimale Voraussetzungen für die Ausbildung geschaffen.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass finanzielle und rechtliche Aspekte die Entscheidung für oder gegen eine Ausbildung stark beeinflussen und vom Kanton zu wenig beachtet werden. Die nachfolgenden Rechtspraxen stellen einen Fehlanreiz dar und entsprechen nicht einer fortschrittlichen Integrationspolitik. Nicht selten führen sie dazu, dass auf die Möglichkeiten einer Berufslehre verzichtet und stattdessen eine ungelernte Arbeit bevorzugt wird.
- Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene die in den ersten 5 bzw. 7 Jahren nach Einreise eine Ausbildung beginnen, erhalten nur sehr geringe oder gar keine Stipendien. Grund dafür ist die vom Bund ausgerichtete Globalpauschale, welche der Stipendienberechnung als Einnahmen angerechnet werden. Dies führt zwangsläufig zu einer Sozialhilfeabhängigkeit während der Ausbildung. Es sind uns mehrere Fälle bekannt, in denen nach Ausbildungsabschluss von Gemeinden die Abzahlung der entstandenen Sozialhilfeschulden gefordert wurde. Diese Praxis ist einerseits nicht zulässig, da die Globalpauschalen die Auslagen der Gemeinden bereits vollumfänglich begleichen und schreckt andererseits Geflüchtete davon ab, eine Lehre zu absolvieren – auch weil sich Sozialhilfeschulden negativ auf das Gesuch zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung B auswirken.
- Rund ein Drittel der Personen aus dem Asylbereich erhalten eine vorläufige Aufnahme, den F-Ausweis. Der Begriff «vorläufig» ist irreführend, denn rund 90% der vorläufig Aufgenommenen bleiben schlussendlich dauerhaft in der Schweiz. Mit diesem Ausweis gestaltet sich das Leben schwierig und viele für uns selbstverständliche Privilegien sind verwehrt. Beispielsweise dürfen Personen mit einem F-Ausweis die Schweiz nicht verlassen, den Kanton nicht wechseln, haben auch keine freie Wohnsitzwahl innerhalb des Kantons. Auch im Alltag wirkt sich der Status «vorläufig» negativ aus, z.B. ist es bei den meisten Anbietern unmöglich, ein Handy-abo abzuschliessen oder ein Konto zu eröffnen. Nach 5 Jahren kann die Umwandlung von F in B Ausweis (Aufenthaltsbewilligung) beantragt werden. Das Migrationsamt TG legt das Kriterium der «Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung» strenger als vom Gesetz vorgegeben aus, es wird ein unbefristeter Arbeitsvertrag mit existenzdeckendem Lohn verlangt. Sozialhilfebezug sowie Sozialhilfeschulden führen zu einer Ablehnung des Gesuchs. Damit sind Personen in einer Lehre schlechter gestellt als Personen in einer Hilfsarbeitertätigkeit – und dies, obwohl sie aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen, ja sogar den Königsweg der nachhaltigen Integration beschreiten.
- Vorläufig aufgenommene Ausländer (F-Ausweis) werden mit reduzierten Sozialhilfeansätzen unterstützt, gemäss Empfehlung des Leitfadens Asyl mit 11 Fr. pro Tag. Ihr Existenzminimum liegt damit wesentlich unter dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum der übrigen Sozialhilfebeziehenden. Sich für eine Lehre zu entscheiden, bedeutet für eine vorläufig aufgenommene Person, weitere zwei bis vier Jahre deutlich unter dem Existenzminimum zu leben – dies ist oft mit ein Grund, weshalb sich eine Person gegen eine Lehre entscheidet. Die reduzierten Sozialhilfeansätze erschweren zudem die soziale Integration.
Lösungsansätze
- Ausbildungen sollen durch das Gewähren von Stipendien gefördert werden
- Für Personen in einer Lehre werden mindestens Fahrspesen und Mittagsspesen sowie eine Integrationszulage nach SKOS ausgerichtet
- Vorläufig aufgenommene Ausländer (VAA) sollen während der Lehre mit regulären Sozialhilfeansätzen nach SKOS unterstützt werden
- Auf eine Rückforderung von während der Integrationsphase bezogene Sozialhilfegelder (erste 5 bzw. 7 Jahre) sowie während der Erstausbildung bezogene Sozialhilfegelder soll verzichtet werden
- Lehrlingen mit F-Ausweis soll es unter klar festgelegten Kriterien (z.B. mindestens die Hälfte der Lehrzeit mit guten Noten absolviert, gute Prognose, gute Rückmeldung Lehrmeister) und Erfüllung der Integrationskriterien nach AIG Art. 58a möglich sein, einen B-Ausweis zu erhalten
Wir regen die Schaffung einer unabhängigen Anlaufstelle für Asylfragen an, an die sich Geflüchtete, Freiwillige und Fachpersonen mit ihren Fragen, Anliegen und Beschwerden wenden können.